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Stockholm 1930
Die Werkbundausstellung in Stockholm 1930
von Gunnar Asplund
Vorwort
In einem Interview bezeichnet Alfred Roth die Stockholmer Ausstellung
von 1930 als ein «Fanal der Moderne». Als eines der wichtigsten
architektonischen Ereignisse Schwedens, steht die Ausstellung aus
internationaler Sicht jedoch ziemlich einsam in der schwedischen
Architekturgeschichte. Weder über die Entstehung, noch über die
Wirkung wurde viel publi-ziert. Eine etwas paradoxe Situation, wenn
man von einem «Fanal» spricht. War es eine internationale oder gar
nationale Bewegung in Schweden, die diese «Brandfackel der Moderne»
entzündete oder war das ganze ein Importprodukt von nur kurzer Lebensdauer?
Wie stark orientierte man sich am Ausland, was stammte aus eigener
Tradition? Dies und auch die Frage, weswegen es danach architekturgeschichtlich
so still um Schweden wurde, weckte unser Interesse
und unsere Forschungslust.
Die architektonische Entwicklung in Schweden
ist auch von internationalen Interesse. Die Architekturproduktion
dieser Zeit trägt nicht nur die Namen Le Corbusier, Frank Lloyd
Wright, Mies van der Rohe und Alvar Aalto, sie besitzt auch feinere
Stimmen, welche regio-naler agieren. Diese Architektur ist oft weniger
einer Ideologie verschrieben als einer auf den Menschen gerichteten
Betrachtungsweise, welche die örtlichen Gegebenheiten einbezieht
und zu achten weiss. Unsere Arbeit will eine stille, pragmatische
Architektur verständlich machen, die sich eher am Bauprozess selbst
als an der Manifestation von Theorien orientiert. Das Leben mit
dem erbauten Objekt war für die Architekten von primärem Interesse.
Die architektonische Geschichtsschreibung darf sich nicht nur mit
einzelnen Punkten der Veränderung beschäftigen. Dies wäre eine Geschichtsschreibung
der Sensation. Die Erkenntnisse aus der Arbeit wurden in ihrer Zeit
aus einer Weiterentwicklung des vorhandenen Wissensstandes gewonnen
und nicht im Aussergewöhnlichen gesucht. Es waren demnach weitere
Zugänge zur modernen Architektur vorhanden als nur die der internationalen
Moderne. Die Bewegungen der Jahrhundertwende Arts and Crafts, Romantizismus
und Neoklassizismus waren nicht so weit von der Moderne entfernt,
untersucht man sie nicht nur formal. Hier existieren entwerferische
und gedankliche Übereinstimmungen und Weiterentwicklungen von nicht
zu unterschätzender Kontinuität.
Erik Gunnar Asplund war sicherlich der Hauptakteur
der schwedischen Architekturge-schichte 1930. Neben der Person Asplunds
war aber gleichzeitig eine ganze Generation in architektonischen
und sozialen Fragen der Zeit engagiert. Das hohe Niveau der Ausstellung
war sowohl die Meisterleistung eines Einzelnen, als auch das Ergebnis
einer ganzen Generation von Architekten, welche einer zusammenhängenden
Geschichte mit Impulsen vom In- und Ausland unterworfen waren. So
war denn die Zeit nach 1930 viel stärker mit den vorausgegangenen
Entwicklungen verknüpft als dies den Anschein geben mag.
Der Titel der Arbeit «Stockholm 1930» soll
einerseits Assoziationen mit der Ausstellung von 1930 als unserem
Hauptthema wecken, andererseits mehr Zeitpunkt und Ort des Ereignisses
hervorheben. Zu dessen Verständnis wird immer der Kontext benötigt,
welcher für uns von ebenso grossem Interesse war, wie die Ausstellung
selbst. Die Ausstellung diente uns als Zugang zur Architekturgeschichte
Schwedens, durch sie konnten wir partiell in die Vor- und Nachgeschichte
eindringen.
Zusammenfassung
Die von hohen künstlerischen Schöpfungen geprägten Stilepochen wie
Nationalromantik und Neoklassizismus hatten Schweden unter Künstlern
und Architekten zu einer hoch anerkannten Nation werden lassen.
Die Manifestation der Moderne löste mit einem Datum und nie dagewesener
Feierlichkeit «Swedish Grace» nahtlos ab, ohne dass Asplunds Funktionalismus
unschwedischer oder unwürdiger geworden wäre.
Die Ausstellung wurde international gefeiert
und auch Sigfried Giedion zeigte in verschiedenen Briefen an Gregor
Paulsson und Uno ?hrén seine Bewunderung für Schwedens Werk und
die Atmosphäre an der Ausstellung. An Paulsson schreibt er: «É Ich
werde auch an verschiedenen Stellen es öffentlich vertreten, dass
z.B. das Hauptrestaurant überhaupt die erste moderne Lösung eines
Restaurants darstellt, wenn man diese Aufgabe so fasst, dass sie
Menschen, die anonym zusammenkommen, zugleich bindet und in Distanz
hält.» Er sagt auch, er wolle es im «Cahiers d'Art» veröffentlichen,
wo er sich bemühe, «möglichst kompromisslos nur Leistungen zu zeigen,
die wirklich zum Neuen Bauen zu rechnen sind».1 Beinahe unerklärlich
erscheint so, dass Giedion später weder Asplund (1885-1940), noch
die Ausstellung, in «Space, Time and Architecture» erwähnt. Es bleibt
zu vermuten, dass sich Giedion in seiner Moderne-Orthodoxie wegen
Asplunds Abkehr vom Funktionalismus und Schwedens weiterer Entwicklung
dazu veranlasst sah, seine zuvor bekannte Bewunderung zu revidieren.
Das ausserordentliche Betonen der sozialen
Aspekte in der funktionalistischen Architektur, wie sie vor allem
von Uno ?hrén unterstützt wurde, und der etwa gleichzeitige Machtantritt
der Sozialdemokraten reduzierten das breite Spektrum des Funktionalismus
zunehmend auf Aufgabenbereiche rein allgemeinen Interesses. Aufgrund
der immensen Wohnungsnot in Schweden wurde der Staat zum Auftraggeber
Nummer eins. Unterstützt wurde also in erster Linie die Produktion
von Bauten. In der Tradition der Kooperativen und Baugenossenschaften
waren die Architekten seit jeher sehr stark in die Architekturproduktion
eingebunden. Damit einher gingen sodann die Entwicklungen im Bereich
der Standardisierung und Massenanfertigung, welche die Bauweisen
der 60er und 70er Jahre dominierten. Diese Entwicklung war anfänglich
notwendig und richtig, endete aber in einer Katastrophe. Man hatte
vor lauter Rationalisierung und Strukturierung des Bauprozesses
die Bedürfnisse der zukünftigen Bewohner aus den Augen verloren.2
Es ist nicht abwegig festzustellen, dass
die Wurzeln des Problems der Architektur Schwedens der Nachkriegszeit
schon 1930 zu suchen sind. Die Veranstalter der Wohnausstellung
hatten es verpasst, wirkliche Neuerungen zu erforschen. Das Interesse
war viel zu sehr auf die konkrete Lösung des Problems gerichtet,
das die architektonische Entwicklung der Jahrzehnte danach bestimmen
sollte. Das für eine Weiterentwicklung unbedingt notwendige Experimentierfeld
des privatfinanzierten Villenbaus fehlte in Schweden. Bauten, wie
Le Corbusiers Villa Savoye oder das Haus Tugendhat von Mies van
der Rohe konnte man sich weniger leisten als auf dem kontinentalen
Europa der 20er Jahre und später. So blieb dann vielen guten Architekten
in den 60er und 70er Jahren nur die Flucht in den Kirchenbau, wie
zum Beispiel Sigurd Lewerentz (1885-1975) und Peter Celsing (1920-1974),
während sicherlich auch viele Entwicklungen neuer Architekten unterdrückt
wurden. Dazu kommt, dass Gunnar Asplund 1940 im Alter von nur 55
Jahren stirbt. Alvar Aalto schrieb in seinem Nachwort über den grossen
Meister: «Sweden - but above all architecture - has suffered a great
loss. The first among architects, who in a wider sense has been
both pioneer and pathfinder for his own era's living architecture,
has left us.» - Niemand konnte Asplunds Platz einnehmen.3
Ein weiterer Faktor für den schwachen Stand,
dem die Architektur Schwedens seit den 40er Jahren entgegenging,
war der zunehmende Verlust der künstlerischen Schulung während der
Ausbildungszeit der Architekten. Während in den 30er und 40er Jahren
die meisten Architekten noch mehr oder weniger klassisch geschult
waren, hatten die Architekten der folgenden Jahrzehnte ein Defizit,
was sie mit einer Orientierung am Alten zu kompensieren versuchten.
Schon 1948 warnte Eric de Maré vor der zu grossen Bereitschaft,
sich am Humanismus der Tradition zu orientieren, anstatt sich der
Herausforderung der Bildung eines neuen Humanismus zu stellen. Er
fährt sodann mit warnendem Ton fort: «The justification that in
their architectural tradition are many still relevant solutions
to contemporary problems is well-founded. But it would be disastrous
if those members of the public who but dimly understand the meaning
of the great aesthetic revolution (and still they are a legion),
should get the idea that the new architecture has abdicated in favour
of just one more traditional revival.» de Maré vergleicht schliesslich
mit Le Corbusier: «The work of such a one as Le Corbusier shows
the modern architect's other line of action. By constant repetition
of first principles (boring as this may become to the architect)
and by a strict adherence in design to the original revolutionary
vision, the public is kept aware that the new architecture is
still new and that the revolution has not slid quietly into reverse.»4
In Schweden waren keine Architekten mit dieser Zielstrebigkeit vorhanden,
und die Architekten fügten sich der Nachfrage. Die Subventionspolitik
der sozialistischen Regierung förderte in einem zunehmend zentralisierten
Staat vermehrt grössere Baufirmen und Architekturbüros. Als eine
Folge daraus schrumpfte der Wettbewerb, und die Architekten verloren
zunehmend an Kompetenzen. In dem sich aufblähenden Produktionsapparat
blieb ihnen neben den technisch spezialisierten Berufen nur noch
eine, überspitzt formuliert, beratende Gestalterrolle. Entworfen
wurde eigentlich jetzt vielmehr das Produktionssystem und nicht
mehr das Gebäude. Den Architekten wurden die Flügel gestutzt. Der
Höhenflug der Architektur Schwedens von einst war beendet, und man
bewegte sich bald auf dem Boden der Banalität. Man war sich der
ungelösten Probleme einer schnell wachsenden Industriegesellschaft
bewusst, hatte es aber verpasst, eine Erneuerung der architektonischen
Theorie und Praxis vorzunehmen.5
Bei allen Problemen gibt es aber auch viel
Positives in der architektonischen Entwicklung Schwedens. So ist
beispielsweise heute der Übergang vom Historismus über die Nationalromantik
zur Moderne aufgearbeitet und wird, im Bewusstsein vieler Architekten,
immer noch als wichtiger Bezugspunkt der eigenen Kultur verstanden.
Die starke und fast einzigartige Tradition der rationalistischen
Architektur mit ihrem Höhepunkt 1930 blieb in der Nachkriegszeit
ein wichtiges, nationales Ereignis in den Köpfen der Architekten.
Leider hatte dies eine gewisse Undurchlässigkeit gegenüber den internationalen
Entwicklungen zur Folge und bei der jüngeren Generation heute eine
Art Heimatkomplex.6 Schwedens Architektur war vor allem seit 1930
immer bestrebt, einfache, pragmatische Lösungen zu finden und nicht
in unverständlichen theoretischen Abstraktionen die Nähe zum Menschen
zu verlieren. Man ging in erster Linie vom Menschen aus und von
dem Ort, an dem er sich während langer Winternächte am meisten aufhielt;
dem Innern seiner Wohnung. Man widmete sich stark dem Entwickeln
guter Grundrisstypologien und dem Entwurf von Elementen der Innenraumgestaltung.
Was die Entwicklung Schwedens in diesen
Jahren interessant macht, ist gerade diese Uneingeschränktheit,
mit der experimentiert wurde und Probleme gelöst wurden, sei es
im Asplundentwurf mit seiner subtilen und selbstbewussten Erweiterung
des Gerichtsgebäudes in Göteborg, sei es in der Entwicklung der
Wohnbauten in den 40er Jahren. Der Entwurf war unbefangen von doktrinären
Forderungen an Modernität, die unmittelbare Umgebung und der Mensch
waren entscheidend.
In Schweden herrscht ein starker Bezug zur
Natur. Endlose Finsternis im Winter und endlose Tage im Sommer intensivieren
ein Leben mit Natur und Zeit. Der schlimmere Fall, also das strenge
Winterklima, wurde oft für den Entwurf von Gebäuden bestimmend.
So manifestierte sich die Architektur in einer äusserlich eher verschlossenen,
sich vor der oft rauhen Natur schützenden Art. Die Gebäude waren
einfache Körper in der Landschaft. Erst Ralph Erskine interpretierte
in seiner Begeisterung für das Land den bisher eher «demütigen»
Bezug zur Natur um und integrierte Bauten bildhaft in natürliche
Gegebenheiten.
Die nur wenige Sommermonate dauernde Stockholmer
Ausstellung von 1930 war eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen
ausschliesslich die leichte, spielerische Seite eines Bauens mit
der Natur zum Zuge kommen konnten. Die neue, moderne Formensprache,
die ja Licht, Luft und Sonne zu ihren entwurfsbestimmenden Faktoren
gemacht hatte, war ein hervorragendes Mittel, um nun auf das riesige
Angebot der Naturelemente, wie es der schwedische Sommer bietet,
eingehen zu können. Die grossen Glasflächen liessen rund um die
Uhr Licht in die hellen Gebäude eintreten, die zahlreichen Fahnen
machten die immerwährende Brise sichtbar und symbolisierten Aufbruch
und Bewegung, die grosszügigen, bunten Markisen liessen immer an
Sonnenschein denken und das nahe Wasser band die verschiedenen Teile
an einem Ufer zusammen. Mit der Feierlichkeit und Freude, welche
die Ausstellung ausströmte, war sie das Sinnbild für einen der Hauptcharakterzüge
der Schweden, der nie ausgeträumte Traum vom Sommer. Die Kombination
von Bescheidenheit, Hoffnung und Menschlichkeit spiegelt sich in
ihren Bauten wider.
Magnus C.
Forsberg und Daniel A. Walser, Zürich 1997
Die gesamte Wahlfacharbeit als pdf (6 MB)
Die Arbeit wurde in enger Zusammenarbeit mit Magnus C. Forsberg erarbeitet:
Forsberg Architekten, Basel
1
Giedion, Sigfried, Brief an Gregor Paulsson, 7. Juli 1930, GTA,
Nachlass Giedion.
2 Standardisierung und Massenproduktion können qualitätssteigernd,
wie -senkend wirken: steigernd, wenn durch die Erhöhung der Quantität
die dadurch ersparten Aufwendungen für das einzelne Produkt in des-sen
qualitative Verbesserung gesteckt werden kann. Senkend hingegen,
wenn dadurch die Vielfalt der Möglichkeiten auf wenige Standards
reduziert werden muss, und diese wenigen Standards, obwohl von hoher
Qualität, so einen nur starren Anwendungsbereich zulassen. Da im
allgemeinen Begriff für gute Architektur immer noch, neben funktionellen
auch orts-, zeitspezifische und nicht zuletzt auch ästhetische Belange
enthalten sind, ist eine so vereinfachte Behandlung der Architektur
nicht imselben Masse mög-lich, wie dies mit einem klassischen Industrieprodukt,
einer Kaffeemaschine beispielsweise, möglich ist.
3 Wrede, Stuart, The Architecture of Erik Gunnar Asplund, Cambridge
Massachusetts/London, 1980, S.224f.
4 de Maré, Eric, The New Empiricism, in: The Architectural Review
1/1948, S.10.
5 Linn, Björn, Schweden., in: Hatje/Lexikon der Architektur des
20. Jahrhunderts (Hrsg. Vittorio Magnano Lampugnani), Stuttgart,
1983, S.277.
6 ebenda. |